Meine kürzlichen Erlebnisse als Gast und die Frage:
Gastfreundschaft, was ist das eigentlich?
Du kommst in ein Lokal, hast nicht reserviert, hättest gerne einen Tisch am Fenster und äußerst diesen Wunsch sofort beim Empfangstisch. Ganz schön frech, oder? Zwei Servicekräfte sind um deine Tischzuweisung bemüht. Der eine wirkt wohlwollender, vielleicht weil wir betonen, wir bräuchten tatsächlich nicht lange. Die andere, hierarchisch scheinbar höher, fokussiert mehr darauf, welche Tische besetzt sind und bietet uns nach ein wenig Hin und Her einen ungemütlich und dunkel wirkenden Tisch mit einer Idee von Fensterblick an. Mit den Worten: Das ist der schönste, den ich für Sie habe. „Schönster Tisch?“, ist mein erster Gedanke. Naja, okay, jetzt sind wir halt mal da, aber wohl fühle ich mich nicht so recht.
Meine Freundin Karin, mit der ich das Restauranterlebnis teilte, arbeitet selbst seit gefühlt ewigen Zeiten als Restaurantleiterin und sieht das alles gelassener, als ich interessiert nachfrage. „Das erlebe ich jeden Tag. Ein wenig ungeschickt hat sie sich vielleicht angestellt.“
Die zuerst uns gegenüber eher wohlwollend eingestellte Servicekraft kommt bald an unseren Tisch, begrüßt uns lächelnd, gibt Tipps, schäkert mit uns, bringt uns die Getränke, kaum haben wir die letzte Silbe der Bestellung ausgesprochen. Ich schätze das und merke es dankbar an. Meine Stimmung verändert sich. Als etwas mehr Essen als bestellt kommt, merken wir es nicht an. Beim Abschied macht der Kellner – auf mich – echt wirkende und in keiner Weise aufdringliche Werbung für das Lokal. Wir fühlen uns insgesamt überraschend wohl, blenden den Tisch aus, lachen viel, bleiben länger als geplant und verlassen das Lokal mit einem guten Gefühl.
Zu Gast bei Verwandten: Ein Erlebnis für sich!
Ganz anders sah es kürzlich bei einem (Urlaubs-)Erlebnis aus, das ich als Gast bei eher weitschichtigen Verwandten hatte. Es war Auslöser für diesen Text. Insbesondere diese eine Frage, die ich mir nach diesem Trip immer wieder gestellt habe: Was genau bedeutet Gastfreundschaft eigentlich?
Schließlich wurde mir von der Gastgeberin, die mich zuvor wiederholt, herzlich und vorfreudig für ein paar Urlaubstage in ihr geräumiges Ferienhaus eingeladen hatte, dringend nahegelegt, ich müsse Gastfreundschaft schätzen lernen und verhielte mich wie eine kleine Rotzgöre. Baaam!!
Gut, es gibt hier sicher mindestens zwei Sichtweisen. Ganz offensichtlich waren wir auch nicht das Gast-Gastgeberin-Dreamteam. Trotzdem, das war schon echt harter Tobak und insgesamt eine Grenzerfahrung, die ich in dieser Art gerne als erlebt und abgehakt wissen möchte. Schon bald nach der Ankunft am schönen Terrassentisch sitzend, kam ein mulmiges Gefühl auf. Es wurde nach einigen Stunden Erholungsschlaf und einem wunderschönen Ausblick am Morgen ein wenig schwächer und beim Zusammentreffen am Frühstückstisch wieder stärker. Von da an blieb es.
Ziemlich irritiert (und wütend!) verließ ich am 3. Morgen nach meiner Ankunft – trotz einer irren, anstrengenden Hinfahrt, geplant einer Woche Urlaub und ohne neue Bleibe – diese offensichtlich unpassende Konstellation und aus meiner Sicht (gast-)unfreundliche Umgebung. Nichts wie weg!
Nun war ich schon öfters privat zu Gast bei Freund*innen – für ein paar Stunden oder Tage bis zu gut zwei Wochen – und selbstverständlich auch Gastgeberin. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Warum hatte sie mich eingeladen, wenn Sie genervt war von Fragen, wie etwa wo der nächste Bankomat oder Supermarkt wäre, oder von meinen Sandalen auf der großen Terrasse, oder meiner Trinkflasche in der Küche, oder von unterschiedlichen Essvorlieben. Hm … nicht nachvollziehbar.
War ich ein schlechter Gast? Neben der Wut überkamen mich Zweifel, die ich zum Glück auf Nachfrage bei meinen befreundeten und verwandten Gastgeber*innen ausräumen konnte. Die vielen anderen Fragen blieben. Wie kommt sie zu der Wahrnehmung, ich würde Gastfreundschaft nicht schätzen? Was macht einen guten Gast aus? Was sind die Regeln? Gegen welche habe ich ihrer Meinung nach verstoßen? Gibt es überhaupt welche? Was bedeutet eigentlich Gastfreundschaft?
Gastfreundschaft per definitionem und aus verschiedenen Perspektiven – Jemand wird sich dabei was gedacht haben, oder?
Von Gastfreundschaft ist der Weg sehr kurz zu Service. Und das ist eine meiner – noch – geheimen Leidenschaften, also gehe ich der Sache genauer nach. Genau genommen, schlage ich oberflächlich nach und frage tiefer persönlich nach Meinungen und Einschätzungen. Man könnte sicherlich ein ganzes Buch über unterschiedliche Definitionen von Gastfreundschaft schreiben. Berücksichtigt man zusätzlich die gesellschaftlich, kulturell, ethisch, religiös, philosophisch, … unterschiedlichen Auslegungen.
Da meine Freundin Karin Gastronomieprofi ist, stelle ich ihr nach meiner Rückkehr meine brennendste Frage: Was bedeutet Gastfreundschaft für dich? Worauf kommt es an?
„Man muss immer das gesamte Setting sehen: Man empfängt jemanden. Ich freue mich immer, wenn jemand kommt. Das ist aus meiner Sicht eine wichtige Grundeinstellung als Gastgeberin und für ein gelungenes Gast-Gastgeber-Erlebnis.“
Der Duden erklärt den Begriff „Die Gastfreundschaft“ so: … jemandem [dem Rechtsbrauch gemäß] erwiesenes Entgegenkommen, das besonders in freundlicher Aufnahme als Gast (…) und in [Schutz und] Beherbergung besteht.
„Der Gast“ …zur Bewirtung oder vorübergehenden Beherbergung eingeladene oder aufgenommene Person.
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Wikipedia: Die Gastfreundschaft ist die freundliche Gesinnung, die einem Besucher von seinem Gastfreund bei seiner Beherbergung, Bewirtung und Unterhaltung entgegengebracht wird. Das Grundprinzip der Gastfreundschaft seit alters her ist wohl das der Gegenseitigkeit: Man erhofft sich selbst unter ähnlichen Bedingungen gastfreundliche Aufnahme.
Ursula K., PR-Expertin und selbst oft Gastgeberin und Gast beschreibt es so:
„Als Gast empfinde ich Gastfreundschaft, wenn ich das Gefühl habe, willkommen zu sein. So kann ich eine Einladung uneingeschränkt genießen. Das zeigt sich meist in der Art, wie viel Aufmerksamkeit mir geschenkt wird. Darüber hinaus freue ich mich, wenn ich selbst entscheiden darf, wie sehr ich mich einbringen möchte.
Gastfreundschaft wohnt dem Wort und der Definition nach eine gewisse Freundlichkeit inne, vielleicht sogar Nähe, oder besser gesagt, Beziehung.
Die Seiten der Gastfreundschaft – Eine Beziehungskiste?
Gastfreundschaft und ihr Erfolg scheinen zuerst einseitig Aufgabe des Gastgebers zu sein. Ist es nicht. Es braucht zumindest jeweils eine*n Gastgeber*in und Gast. Beide erleben eine Situation aus ihrer Perspektive. Klingt plausibel. Es hat bekanntlich alles 2 Seiten und es gehören immer mindestens 2 dazu.
Interaktion und Beziehung – für Karin Kernelemente gelebter Gastfreundschaft:
„Gastfreundschaft (in einem Restaurant) ist weit mehr als bloße Befriedigung von Hunger und Durst. Gutes Essen, Weinempfehlungen, Standort usw., klar! Es geht aber um mehr, nämlich um Beziehungsaufbau für die Weile, die man miteinander als Gäste und Gastgeber verbringt. Und die Frage: Willst du nur etwas verkaufen oder gleichzeitig jemandem etwas Gutes tun.“
Ich frage Karin weiter: Welchen Anteil hat der Gast an einem positiv empfundenen Erlebnis? Ihre Antwort erklärt für mich unser Gefühl in dem Restaurant und in der Interkation mit dem Kellner, der ebenfalls zufrieden wirkte.
„Es gibt Gäste, die sind supernett und da gelingt das auch ganz natürlich. Das bereichert einen auch als Gastgeber. Diese Gäste lächeln mich an, schauen mit Vorfreude die Karte an, man kommt ins Gespräch, empfiehlt etwas usw. Und es geht viel um Offenheit und Humor. Es ist ein Wechselspiel. Wenn der Gast dabei mitspielt und ebenfalls in diese kurze Beziehung investiert, kann es gelingen und zu einem schönen Erlebnis werden – eben für beiden Seiten.“
Was zwischen dem Kellner und uns ganz automatisch funktionierte, schien in der privaten Konstellation nicht zu funktionieren. Wo zuvor Welten aufeinanderprallten, waren wir uns bei meiner Abfahrt einig: Keine hatte sich mehr wohlgefühlt. Urlaubsfeeling spürte sich anders an.
Obwohl ich die seit Kindertagen allseits bekannten Grundregeln – nach meinem Empfinden – einhielt, ging es schief: Man bringt ein Gastgeschenk mit, zeigt sich (mit einer Gegeneinladung) dankbar, verhält sich höflich, freundlich, im Sinne des Gastgebers, hilft mit, macht keinen Ärger usw. Die Erwartungen waren angeblich andere. Welche, ist mir bis jetzt unklar.
Alles eine Frage von Erwartungen und Kommunikation?
Zwei Schlagworte, die in Beziehungsfragen regelrecht Buzzwords wurden, gelten sie doch als Schlüssel für gelungene Beziehungen. Auch wenn es oft heißt, man soll(te) keine Erwartungen haben, sind sie klarerweise weniger und mehr da. Klar ist ebenfalls, miteinander zu kommunizieren und etwaige Erwartungen zu klären, schadet definitiv nicht. In der Gast-Gastgeber*in-Beziehung scheinen Erwartungen und Kommunikation ebenfalls Schlüsselelemente zu sein.
Wikipedia adressiert in der Definition von Gastfreundschaft den Aspekt der Gegenseitigkeit, beispielsweise eine Rückeinladung. Eine vermeintliche oder echte Erwartung? Das hängt wahrscheinlich zu gewissen Teilen von der Intention des Gastgebers/der Gastgeber*in und der Art der Beziehung zwischen Gast und Gastgeber*in ab. Uneigennützigkeit als Triebfeder einer Einladung kommt womöglich häufiger vor als gedacht, scheint aber manchmal nicht ganz echt empfunden zu werden. Puh, langsam komme ich durcheinander. Ganz schön vielseitig und facettenreich. Kommunikation könnte tatsächlich Klarheit bringen.
Gut, die Kommunikation hat in unseren Gast-Gastgeber*in-Konstellationen in dem einen Beispiel gut funktioniert und in dem anderen gar nicht. Im Restaurant wurden die Erwartungen aus meiner Sicht subtiler geklärt oder man hatte von Beginn eine ähnliche Erwartungshaltung, oder nach dem zugewiesenen Tisch keine Erwartungen mehr und sie konnten so nur übertroffen werden?
In meinem Urlaubserlebnis wurde nicht über Erwartungen gesprochen. Dahingehenden Fragen meinerseits, um eben etwaige Erwartungen im Vorfeld zumindest zu kennen, wurde sowohl vorab als auch vor Ort seitens der Gastgeberin ausgewichen. Am Ende war’s zu spät. Hätte man mal bloß drüber gesprochen.
Gute und schlechte Gastgeber*innen
Diese Zuschreibung erfolgt oft nach Einladungen. Zu dieser Bewertung gelangen wir über unsere persönliche Einschätzung und einige (gelernte, übliche) Kriterien über gute oder schlechte Gastgeber*innen. So wie Ursula ihre Rolle als Gastgeberin beschreibt, wäre ich gerne bei ihr zu Gast.
„Wenn ich Gäste herzlich willkommen heiße, dann ist es mein Ziel, dass sie sich wie zu Hause fühlen. Oder sich sogar noch einen Tick wohler fühlen, weil ich ihnen Aufmerksamkeit, Wärme und das Gefühl von Zugehörigkeit schenke. Sie sollen von dem Gedanken, das war/ist eine schöne Begegnung, ein herrlicher Aufenthalt erfüllt werden.“
Viele Menschen sagen von sich, sie wären gerne Gastgeber*innen
In diesem Punkt sehe ich einen weiteren Unterschied zwischen den beschriebenen Erlebnissen: In dem einen Fall, war es Arbeit, d. h. gewissermaßen unfreiwillig. In dem anderen Fall nennen wir es Freizeit, jedenfalls freiwillig. Gewirkt hat es auf mich umgekehrt. Der Kellner schien seinen Job zu mögen, schließlich arbeitete er an seinem eigentlich freien Tag, wie er uns erzählt. Er gab uns als Gastgeber ein authentisches Gefühl willkommen zu sein, ganz im Sinne seines Arbeitgebers und nicht zuletzt sorgte er damit für sein eigenes Wohlbefinden. Win-win-win-win-Situation könnte man das nennen 😉
Anders das Gefühl bei meinem Urlaubserlebnis. Wie gerne meine weitschichtige Verwandte Gastgeberin war/ist, stell(t)e ich in unseren gemeinsamen Tagen in Frage. Sie betonte manchmal sogar, dass sie keine Gäste mochte. Warum hatte sie mich nochmal eingeladen?
All das brachte mich zu weiteren Fragen: Woher weiß man, ob man sich als Gast oder Gastgeber*in eignet? Wieviel Selbst-Bewusstsein gehört dazu? Was und wie viel an Gast hält man aus? (Klar ist nämlich, ein Gast ist nicht unsichtbar, man wird ihn/sie bemerken.)
Braucht es gewisse „Hausregeln“ – wie bspw. eine Hausordnung in einem Mehrparteien-Wohnhaus? Woher weiß man, dass eine Konstellation funktioniert?
Eine meiner Hypothesen ist: Manchmal will man vielleicht gar nicht Gastgeber*in sein, auch wenn man die Räumlichkeiten dazu hat und sich aus welchen vermeintlichen gesellschaftlichen Verpflichtungen auch immer denkt, man müsste es sein. Gesellschaftliche Erwartungen (da wären sie wieder!) oder sogar Druck scheinen beim Thema Gastfreundschaft eine große Rolle zu spielen. Ob das in ihrem Ursprung liegt?
Eine eindeutige Antwort gibt es trotz Definitionen und Ursprung – für mich – bisher nicht. Welche Erwartungen wir als Gastgeber*innen haben oder als Gast bei uns entstehen, hängt offenbar stark von unserer Kultur, Erziehung und der eigenen Interpretation von Gastfreundschaft ab. Und natürlich vom Setting: Ob wir privat oder in einem kommerziellen Rahmen zu Gast sind, macht sicherlich einen großen Unterschied und im kommerziellen Bereich ist sicherlich vieles von Beginn an klarer. Einerseits, weil gelernt und andererseits, weil Geld als Gegenleistung eine Basis für gewisse Regeln im Umgang miteinander bietet. Schließlich ist gelebte Gastfreundschaft eine der Geschäftsgrundlagen beispielsweise von Restaurants. Sich zu erlauben, Gäste zu vergraulen, müssen sich aus meiner Sicht früher oder später alle gut überlegen – auch für grantige Kellner berühmte Wiener Kaffeehäuser.
Von Gastfreundschaft ist der Weg sehr kurz zu Kundenservice
Spätestens jetzt ist es kein Geheimnis mehr. Ich finde Kundenservice enorm wichtig, es kann heutzutage den (einzigen) Unterschied machen, erwarten wir doch immer schnelleres und persönliches Service. Wie man sich als Gast oder Kund*in fühlt, wann man ein Genuss- oder Kauferlebnis als gut wahrnimmt, ob Gastfreundschaft oder Service echt gemeint sein müssen, um als gut empfunden zu werden, ob und wie schnell “Fake” auffällt, welche Nuancen manchmal den Unterschied machen etc., all das beobachte ich laufend bei mir selbst und anderen mit großer Neugier, Freude und Begeisterung – oder eben auch Verwunderung. More to come.
Wie siehst du das?
Bist du gerne Gast oder Gastgeber*in? Wann fühlst du dich als Gast / Kund*in oder Gastgeber*in wohl?
Was hast du in diesem Zusammenhang schon erlebt?
Nur her mit deinen Erlebnissen! Ich bin gespannt.
Ariane
Mehr zu Ariane Kabengi
Mehr über mein Erlebnis als berufliche Gastgeberin und im Arbeitsurlaub von meiner Arbeit findet du hier.
September 2021, © Headerbild: Belinda Fewings
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